Urban Interventions WS 13/14

WS 2013/14, Leitung: Jane Eschment, Mitarbeit: Stephanie Henk

Urban Interventions nennt man die Weiterentwicklung künstlerischer Interventionen im urbanen Raum. Es ist ein Wechselspiel von Kunst, Architektur, Performance, Installation und Aktivismus. Das Öffentliche wird zu einem privaten Erlebnis. Die oft anonymen Arbeiten beschäftigen sich mit jeglichen Aspekten und Bestandteilen der Stadt. Die Straße wird zur Leinwand und Galerie, zum Atelier, Labor und Club. Die Kunst kommt zum Publikum. Modifizierte Straßenschilder, Schaukeln an Bushaltestellen und Bilder aus Sand oder Schnee fordern uns heraus, unsere Umwelt zu entdecken, sie auf neue Art wahrzunehmen und mit ihr zu interagieren. Urban Interventions kommentieren und kritisieren auf intelligente Art und nehmen Bezug auf die Planung, Nutzung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raums.

Im Rahmen des Seminars entwickelten die Studierenden in Einzel- oder Gruppenarbeiten eigene Projekte im Stadtraum von Köln. Hier finden Sie eine Auswahl der entstandenen studentischen Interventionen.

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ADBUSTING – KING DES MONATS
(Dolly Adbuster und Adbuster Rhymes)

94.000 Likes und über 1.200 Kommentare auf Facebook.

Die Kommentare reichen von absoluter Begeisterung bis zu Morddrohungen.

Medienwissenschaftler und Journalisten verfassen kritische Interpretationen und überschlagen sich mit Lob! Menschen aus aller Welt teilen die Bilder auf ihren Blogs

Die Täter sind derweil immer noch auf der Flucht. Mit dem plötzlichen Ruhm, kam auch die Strafverfolgung durch die Justiz. In einer überstürzten Nacht-und-Nebel-Aktion haben die Täter das Land verlassen. Dank großzügiger Spenden von Unterstützern und Einnahmen durch etliche Interviews haben die Täter in näherer Zukunft keine finanziellen Sorgen zu befürchten. Das erhoffen sich ebenfalls die Nachahmer und Fälscher aus Osteuropa, welche den Markt mit Kopien überfluten. Zeitgleich sind Streetart-Sammler aus ganz Deutschland unterwegs, um weitere  Originale der Täter ausfindig zu machen, da die Nachfrage auf dem Kunstmarkt gewaltig ist. Der Marktwert steigt mit jedem Like und wird bei den aktuellen Bildern bereits auf einen Millionenbetrag geschätzt. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, denn auch die Polizei ist an den Plakaten Zwecks Spurensicherung interessiert. Die Täter verhöhnen derweil die Justiz und brüsten sich mit ihren Taten in der folgenden Videobotschaft:

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=1NPzhA7UUo4?rel=0]

# REAKTIONEN

Noch hört das Medienecho nicht auf. Weitere Beiträge aus dem Internet:

https://www.facebook.com/photo.php?fbid=10151999379768633&set=pb.132153568632.-2207520000.1384288677.&type=3&theater

http://www.dw.de/die-anti-werber/a-17227447

http://www.spiesser.de/artikel/der-antiwerber

http://www.kraftfuttermischwerk.de/blogg/adbusting-rezepte-auf-die-plakate-von-mc-donalds-schreiben/

http://www.berliner-zeitung.de/panorama/adbusting-in-koeln-mit-stift-und-witz-gegen-die-grossen-fastfoodketten,10808334,25024476.html

http://www.schleckysilberstein.com/2013/11/rezepte-statt-fastfood-adbusting-fur-die-volksgesundheit/

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FREE THE POTATOE
(Wiebke Fangmann, Anna Joost, Margarita Justus, Isabell Key)

# IDEE

21 Uhr. Ladenschluss im Supermarkt. Die Lichter gehen aus und die letzten Mitarbeiter_innen verlassen den Laden. Doch was passiert mit dem Obst und Gemüse, das nicht verkauft wurde? Oder dem Brot, was an diesem Tag sein Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hat?

Es landet in der Tonne hinter dem Laden – genau da, wo unsere Urban Intervention beginnt.

Bewaffnet mit Taschenlampe, Tüten, Gummihandschuhen und einer Kamera machen wir uns daran, die Kartoffeln und all ihre Freund_innen zu befreien und ihnen eine Stimme – …ach nee, warte: Augen zu geben.

# DURCHFÜHRUNG

5:30 Uhr. Die Meute versammelt sich am Rudolfplatz. Die Gemüter sind erhitzt. Plakate ragen in die Höhe, Megaphone sind bereit, die Demo kann beginnen. „Mich kann man noch essen“ steht auf den kleinen Plakaten, oder „Ich schmecke noch“.

Dank der Unterstützung der Organisation Foodsharing (www.foodsharing.de) wird die Aussage der Demonstration anhand von Flyern noch zusätzlich verdeutlicht. Mit Kaffee und Backwaren ausgestattet begeben wir uns in den Hintergrund und überlassen den eigentlichen Stars die große Bühne.

# REAKTIONEN

6:30 Uhr. Wir positionieren uns mit Kameras gewappnet auf unseren Plätzen. Kamera an – Action! Und es passiert… NICHTS.

So langsam wacht die Stadt auf. Viele Menschen, die auf dem Weg zur Arbeit, Schule, Uni sind, nehmen unsere Objektdemonstration zunächst nicht wahr. Große Ernüchterung macht sich breit: „Leute, was machen wir, wenn es die ganze Zeit so weiter geht? – Komm, wir warten noch, bis es heller wird.“

Endlich. Nach dem zweiten Kaffee bleiben einige Passant_innen stehen. In den Gesichtern: Verwunderung, Fragezeichen, Begeisterung, Verwirrung, Belustigung, Schmunzeln,…

8:30 Uhr. Eine Kölnerin postet ein Foto unsere Intervention in der Facebookgruppe „Nett-Werk Köln“. Unter dem Bild bricht eine Flut von Kommentaren aus, sowohl positive als auch negative. Viele Menschen finden die Aktion besonders gelungen. Andere wiederum beklagen, dass die Lebensmittel auf den Bogen liegen und verlangen, dass man eine Decke drunter legen solle. „Es liegt auf dem Boden, ja… Aber es stammt aus dem Müll – also gibt es hier Leute, die das Essen aus dem Müllcontainer gegessen hätten, aber jetzt nicht mehr, weil es auf dem Boden liegt?“ fasst eine Facebooknutzerin in ihrem Kommentar zusammen.

9 Uhr. Juhu! Endlich wird der erste Apfel mitgenommen. Die Plakate der Kartoffeln und Co. werden gelesen und ernst genommen. Eine Frau packt sich Paprika ein. Für’s Mittagessen? Ein Mann nimmt sich eine Banane mit. Kleiner Snack für Zwischendurch? Viele nehmen sich Flyer mit und lesen diese hoffentlich durch. Vielleicht animieren wir sie dazu, ihre Lebensmittel, die sie nicht essen, abzugeben statt sie in die Tonne zu werfen. Denn: „Sharing is caring.“

11 Uhr. Nach vielen Gesprächen, Interviews und Kritik löst sich die Demo langsam auf. Kartoffeln und Co. Landen in Wiebkes Auflauf, obwohl ihr Schicksal schon längst für den Müll bestimmt war.

[vimeo 85599834 w=640 h=360]

Free the Potato from Wiebke Fangmann on Vimeo.

Eine Aktion, die nicht nur uns eine Menge Spaß bereitet hat, sondern in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde und so hoffentlich nachhaltig Wirkung zeigt. Unser Medienecho:

http://www.ksta.de/innenstadt/-obst-und-gemuese-auf-dem-rudolfplatz,15187556,25041210.html

http://elisabethvanlangen.wordpress.com/2013/11/15/demonstration-auf-dem-rudolfplatz/

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CANDLELIGHT-DINNER 
(Ramona Fisch, Cornelia Manthey)

1,5 Stunden Zeit, Messer und Gabel, Kerzenschein und Weingläser –

der etwas andere Mc Donald Besuch

# IDEE

Unsere Idee war es, ein “klassisches” Candlelight-Dinner in einem McDonald’s-Restaurant in der Stadt abzuhalten. Für Aufmerksamkeit und Verwirrung in diesem von Schnelllebigkeit und Geschmacklosigkeit geprägten Raum zu sorgen – würde uns das gelingen? Lässt sich in einer McDonalds Filiale so etwas wie eine authentische Candlelight-Atmosphäre schaffen? Und würde uns überhaupt jemand wahrnehmen?

Die Aktion selbst sollte einen Cut in das schematisierte Alltagsgeschehen der McDonald’s-Kunden darstellen und diese zum Schmunzeln bringen. Anfänglich hatten wir gedacht, dass diese Intervention auch eine Kritik an der Konsumorientiertheit der heutigen Gesellschaft und dem „immer-schneller-und-immer-billiger-Markt“ ausüben könnte (was wiederum im Kontrast dazu steht, dass wir selbst unser Essen dort gegessen haben). In diesem Sinne könnte sie allerdings auch als eine Art „Wiederbelebungsversuch“ des Bewusstseins für die „schönen Momente im Leben“ verstanden werden.

# DURCHFÜHRUNG

Für unsere Intervention hatten wir Unterstützung von Freund_innen, die in die Rolle des Candlelight-Partners bzw. der versteckten Kameraassistent_innen schlüpften und unsere Intervention festhielten. Dabei lag der Fokus auf den Reaktionen der unwissenden Zuschauer_innen.

Nachdem wir unser Essen gekauft und auf einem Tablett an den Tisch gebracht hatten, deckten wir diesen gemeinsam ein. Servietten, Kerzenständer, Weingläser, Teller und Besteck sorgten für die gewünschte Atmosphäre. Nun füllten wir also Essen und Trinken auf unser Geschirr um und aßen betont IN RUHE. Noch nie haben wir Pommer und Burger in 1,5 Stunden mit Messer und Gabel verspeist – von Genuss konnte nach dieser Zeit allerdings auch keine Rede mehr sein.

[vimeo 88700392 w=640 h=360]

# REAKTIONEN//REFLEXION

Während der Intervention wurden wir von vielen Leuten intensiv beäugt und einige der Zuschauenden machten sogar Fotos. Das Personal, das über die Aktion nicht informiert wurde, war höchst amüsiert und hing, sobald mal kein Ansturm war, mit dem Oberkörper über dem Tresen, um uns zu beobachten. Zwei Männer blieben stehen und der eine fragte mich sehr berührt und erfreut: „Awwh, hat er das für Dich gemacht?“

Insgesamt sind wir mit dem Projekt sehr zufrieden und als Protagonisten würden wir uns an eine zweite Runde wagen. Und warum nicht weiter spinnen – mit Kellner_innen, weiteren Pärchen oder inszenierten Heiratsanträgen? Dann jedoch mit geplanten Interviews, um mehr Reaktionen einzufangen.

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CAR WASH
(Marilene, Else, Lale, Maj)

Codes knacken in der Waschanlage. Das Statussymbol der Deutschen einsauen.

 # IDEE

Warum Säubern, wenn man auch Beschmutzen kann.

„Öffentlicher Raum entsteht erst im Konflikt“ schreibt Oliver Marchart und inspiriert uns zu unserer Aktion.

DURCHFÜHRUNG

Waschanlage finden, die sich vom Aufbau her auch für eine versteckte Dokumentation eignet.
Ein Auto finden, auf dem der Schmutz zur Geltung kommt.
Einen Beschmutzer finden.
Technik und Equipment zusammen suchen.
Umsetzung planen.
=
Ein schöner, sonniger, arschkalter Tag im November.
Ein weißer Fiesta.
Ein rausgeputzter frierender Paul (Beschmutzer).
Ein hochmotiviertes Filmteam, welches mit Kameras bewaffnet, versteckt hinter Büschen und Lastwagen steht.

Paul – eingewiesen bis ins kleinste Detail – erfüllte seine fast 1,5 Stunden andauernden „Putzaktionen“ mit Grazie und Anmut.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=NSMRYrsy5xw?rel=0]

# REAKTIONEN

Völlig anders als erwartet!

Nach der Reaktion der Anwesenden war Paul gar nicht da. Mehr als einen flüchtigen Blick konnten wir durch unsere Aktion nicht erreichen. Keiner fühlte sich durch unsere Aktion gestört.  Das wars dann mit dem Konflikt.

Um wenigstens den ein oder anderen dazu zu bekommen das dreckige Auto mit seinen Schmierereien und den Kaffeeflatschen zu beachten, ab damit zurück auf den Waschplatz. Und siehe da – es fiel dann doch auf. Ein Taxifahrer und der ein oder andere Autobesitzer eckten doch noch mit der Schmutzschicht an und nahmen das Auto als einen Anstoß zur Kommunikation. Man(n) kam zum Schluss, dass das Auto einen nächtlichen Anschlag von randalierenden Jugendlichen überlebt haben müsse.

# REFLEXION

Die Idee war gut. Die Planung hat funktioniert. Das Team hat gestimmt. Die Durchführung ist ohne Komplikationen über die Bühne gegangen. Doch die Reaktionen blieben aus, beziehungsweise beschränkten sie sich auf ein stoisches Ignorieren. Etwas enttäuschend.

Fürs nächste Mal, das wissen wir jetzt, hätten wir mehr in die Übertreibung gehen müssen. Wahrscheinlich wären die Reaktionen entrüsteter ausgefallen, wenn nicht nur das Auto, sondern auch der Beschmutzer eingesaut gewesen wäre. Zudem hätte man den Beschmutzungsvorgang mit Materialien wie Blättern oder Sprühkreide intensiver gestalten können. The next Car Wash is coming soon. Wenn gar nichts zu Reaktionen führt, werden die anderen eben auch beschmutzt. In diesem Sinne, auf das nächstes Mal!

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SCHÜTTELN
(Dennis Pietrek, Anna Storms, Jana Tesch)

# AUSGANGSLAGE

Der Alltag in der Uni ist meist von Stress geprägt. An manchen Tagen hetzt man von Veranstaltung zu Veranstaltung, darf den einen Inhalt nicht vergessen, muss aber den nächsten schon vorbereiten – da bleibt keine Zeit für Blicke nach links und rechts, die einen aus den Gedanken reißen könnten. Genau das wollten wir erreichen: den Alltag unterbrechen und eine Möglichkeit geben, für einen Moment abzuschalten. Der Zuschauer soll aufgefordert werden sich mit seiner Umwelt auseinander zu setzen, sie mit anderen Augen wahr zu nehmen und vielleicht sogar mit ihr zu interagieren.

# IDEE

Jeden Tag geht man durch zahlreiche Türen – man öffnet sie, man schließt sie, man öffnet sie man schließt sie, man drückt, obwohl dort ziehen steht. Doch was, wenn man dabei plötzlich aufgefordert wird zu lachen, zu lieben oder gar seine_n Nachbar_in zu kneifen?

Welche Handlungsanweisungen könnten durch die Türschilder übermittelt werden, sodass Durchgehende zum Schmunzeln gebracht werden? Wir entschieden uns für folgende: lauschen, umarmen, lieben, küssen, winken, lachen, hassen, trinken, feiern, klopfen, treten, schlagen, tanzen, feiern, loben, rubbeln, kneifen und natürlich schütteln – was unserem Projekt schließlich den Namen gab.

# UMSETZUNG

Unser Ziel war es, die ursprünglichen Aufkleber mit der Aufschrift „drücken“/„ziehen“ möglichst originalgetreu zu imitieren, damit das äußere Bild nicht den Anschein einer Manipulation durchblicken lässt. Mit Photoshop gelang es uns dem Originallayout sehr nahe zu kommen: Schrift und Farbe unterschieden sich auf den ersten Blick nicht von den eigentlichen Aufklebern. Unsere Intervention – ein Hack, umcodiert und neudefiniert – wer würde es bemerken und wer würde den Handlungsanweisungen Folge leisten?

# REAKTIONEN // REFLEXION

Die Reaktionen blieben flüchtig und damit schwer einzufangen. Für Außenstehende zuckten die Mundwinkel kaum sichtbar. Dieses zarte Schmunzeln dann auch  noch mit der Kamera im richtigen Moment einzufangen war beinahe unmöglich bzw. hätte einer besseren Ausstattung, mehr Zeit und intensiverer Planungen bedurft.

Einige sind tatsächlich vor den Schildern stehen geblieben, haben sie genauer betrachtet, sind von Tür zu Tür gelaufen und haben Kommilitonen darauf hingewiesen. An anderen Stellen entwickelten sich Dialoge wie dieser:

Sie: „Ey, hast du schon diese ganzen Sticker gesehen?`“
Er: „Hm“
Sie: „Ja und? Wie findste das? Das verwirrt mich TOTAL.“
Er: „Hm ne, mich irgendwie nicht.“

Die Reaktionen sind wie man sieht durchaus verschieden. Am meisten hat sich wohl die Person  provoziert gefühlt, die zwischen dem Nachmittag der Anbringung und dem nächsten Tag fast alle Türschilder schon wieder abgemacht und entsorgt hatte. So war unsere Intervention leider nur von kurzer Dauer – aber wir hatten unseren Spaß!

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