SS 2013, Leitung: Jane Eschment, Johannes M. Hedinger, Mitarbeit: Stephanie Henk
Urban Interventions nennt man die Weiterentwicklung künstlerischer Interventionen im urbanen Raum. Es ist ein Wechselspiel von Kunst, Architektur, Performance, Installation und Aktivismus. Das Öffentliche wird zu einem privaten Erlebnis. Die oft anonymen Arbeiten beschäftigen sich mit jeglichen Aspekten und Bestandteilen der Stadt. Die Straße wird zur Leinwand und Galerie, zum Atelier, Labor und Club. Die Kunst kommt zum Publikum. Modifizierte Straßenschilder, Schaukeln an Bushaltestellen und Bilder aus Sand oder Schnee fordern uns heraus, unsere Umwelt zu entdecken, sie auf neue Art wahrzunehmen und mit ihr zu interagieren. Urban Interventions kommentieren und kritisieren auf intelligente Art und nehmen Bezug auf die Planung, Nutzung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raums.
Im Rahmen des Seminars entwickelten die Studierenden in Einzel- oder Gruppenarbeiten eigene Projekte im Stadtraum von Köln. Nachfolgend finden Sie eine Auswahl der entstandenen studentischen Interventionen:
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DIE PASSIVPLAKETTE (Laura Limito, Anna Gödde)
# Ausgangslage
An zahlreichen Bänken am Rheinauhafen in Köln finden sich sogenannte „Aktivplaketten“, eine Abbildung von Fitnessübungen an und auf den Bänken, entwickelt von der Sportstadt Köln e.V. und der Sportagentur NAO Fit unter wissenschaftlicher Begleitung der Deutschen Sporthochschule mit dem Ziel die Kölner*innen zur Verbesserung ihrer körperlichen Konstitution zu animieren.
Ja, auch wir sind FÜR sportliche Übungen, aber MOMENT MAL…
Eine Bank kann zwar zum Sportgerät mutieren, aber soll sie das überhaupt? Dient eine Bank nicht gerade der kurzen Erholung nach anstrengender Tätigkeit? Werden die Ansprüche in unserer Leistungsgesellschaft nicht schon hoch genug angesiedelt? Sollten wir in Zeiten der Mehrperspektivität nicht einfach mal zur Ruhe kommen und eine Bank eine Bank sein lassen?
# Projektbeschreibung
Mit unserer Intervention wollen wir die Intention der Aktivplaketten mit einem Gegenentwurf konfrontieren: Wir entwickeln PASSIVPLAKETTEN, die zu Entspannung und Erholung auf den jeweiligen Bänken einladen. Die Bank bekommt somit ihre ursprüngliche Bedeutung und Funktion zurück und kann ihre gewohnte Aufgabe wieder übernehmen – ein Erholungs- bzw. Ruheort sein.
Als Pendant zur Aktivplakette provoziert und ironisiert die PASSIVPLAKETTE und fordert vielfältige Reaktions- und Handlungsmöglichkeiten heraus. Wir wollen aufzeigen, dass auch Gegenpositionen zum gesteigerten Aktivitätsniveau existieren und diese durchaus mit Spaß verknüpft sein können – Ernsthaftigkeit passé! Auf den ersten Blick ganz subversiv, auf den zweiten schon deutlicher spricht die Ironie aus unserer Plakette. Passant*innen sollen verwirrt, irritiert und beeindruckt zugleich sein.
# Umsetzung
Damit unser Hacking nachhaltig funktioniert, müssen Design und Material dem Original der Aktivplakette möglichst nahe kommen. Was auf den ersten Blick ebenso professionell wie offiziell anmutet, offenbart auf den zweiten Blick subversive Botschaften. Entwickelt haben wir die Plakette via Photoshop ganz nach dem Layout der Aktivplakette. Die jeweiligen Passiv-Übungen wurden von unserem Modell mit großer Einsatzbereitschaft und viel Enthusiasmus ausgeführt und von uns fotografisch dokumentiert. Die fertig konzipierten Plaketten ließen wir im PrintShop auf Klebefolie drucken und brachten sie anschließend auf passend zugeschnittene Aluminiumplatten auf. Anschließend präparierten wir die Plaketten noch mit Buchbinderfolie, damit diese in Zukunft wasserresistent bleiben. Da sich in den Bänken am Rheinufer schon Löcher mit vier Schrauben von demontierten Aktivplaketten befanden, platzierten wir unsere Plaketten an eben diese Stellen.
[vimeo 69266798 w=500 h=281]
Damit die PASSIVPLAKETTE in ihrem hoffentlich langen Leben von anderen Personen kommentiert werden kann und Interessierte die Möglichkeit erhalten sich über unser Projekt zu informieren, befindet sich auf der Plakette ein QR-Code, über den Interessierte auf eine von uns erstellte Facebook-Seite geleitet werden. Bild-, Videomaterial und Posts spiegeln unseren Arbeitsprozess wider und laden zum Kommentieren ein – wir freuen uns auf Kritik!
https://www.facebook.com/pages/PASSIVPLAKETTE/362141357241915
Auf der Facebook-Seite befindet sich außerdem ein weiterer QR-Code, welcher zum Seminarblog urbaninterventions.net führt, sodass sich zusätzlich auch über den gegebenen Kontext, in dem unsere Intervention entstanden ist, informiert werden kann.
# Reaktionen & Reflexion
Schon bei der Anbringung stießen wir durchweg auf positive Resonanz. Einige Menschen halfen uns spontan bei der Anbringung, andere ließen sich interviewen und wiederum andere führten die Passiv-Übungen nach Plan aus. Der spielerische Aspekt nahm für die beteiligten Personen einen äußerst hohen Stellenwert ein – wir konnten beobachten, dass unsere PASSIVPLAKETTE großen Spaß in der Durchführung provozierte.
Wünschenswert sind für uns ebenso Reaktionen aus dem Feld der ursprünglichen Erfinder*innen der Aktivplakette. Wir erhoffen uns ein Schmunzeln über ihre „Gegenspielerinnen“. Die Anbringung der Aktivplaketten wurde in Köln seinerzeit öffentlichkeitswirksam durch die Presse begleitet – wer weiß, vielleicht schafft es auch unsere Plakette in die Medien..
Abgesehen davon schwingt unsererseits eine Portion Selbstironie mit: Sportstudierende erfüllen meist das Klischee, dass sie sehr aktiv und engagiert seien. Kunststudierende werden meist andere Eigenschaften zugeordnet: Relaxing und Kreativität überwiegen hier. Jede*r sollte auch über sein eigenes Ich lachen können!
Konzeptuell hatten wir zunächst vorgesehen zusätzlich zu den Plaketten Kissen an den Bänken anzubringen. Aus zeitlichen Gründen verzichteten wir jedoch darauf. Im Nachhinein sind wir der Überzeugung, dass die Kissen von der eigentlichen Plakette abgelenkt hätten. Deswegen ganz im Sinne unserer Reduktionsstrategie auf das Ursprüngliche: Weniger ist manchmal mehr!
In einer Präsentation haben wir alle wichtigen Punkte, die unserer Intervention zugrunde liegen, visualisiert und vernetzt:
http://prezi.com/n1nalygw_hec/?utm_campaign=share&utm_medium=copy&rc=ex0share
# BUSINESS OFF # PASSIVE ON # DO IT NOW!
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PERSÖNLICHE PROFILE (Patricia Mrozewski)
# Ausgangslage
Anonymität, visuelle Reizüberflutung und Schnelllebigkeit sind intensive Erfahrungen, mit denen ich mich häufig bei meinen Rundgängen durch die Stadt und auf meinem Weg zur Uni konfrontiert fühle. Viele Menschen wirken gestresst und gehetzt und sind nur mit sich selbst beschäftigt.
Anonymität empfinde ich vorwiegend an Bahnhöfen oder auch im Stadtzentrum. Es scheint als seien Menschen in der Stadt ständig im „Lauf“. Wie paradox wirkt es, dass gerade solche Knotenpunkte Orte darstellen, an denen recht große Menschenmassen zu finden sind und jede*r Einzelne trotzdem alleine zu sein scheint! Einsamkeit? Stress? Zeitdruck? Kommunikative Interaktionen scheinen zur Nebensache deklariert zu werden, weil Zeitdruck, Zielorientierung und Effizienz Priorität haben. Ein Bruch mit der Anonymität, der Versuch Kommunikation und menschliche Empfindungen auch für uns unbekannte Personen sichtbar zu machen, ist nur selten beobachtbar.
Visuelle Reizüberflutung begegnet uns vor allem in Form zahlreicher Werbetafeln. Wir geraten unter ständigen Druck. Die Werbung präsentiert uns scheinbar allgemeingültige gesellschaftliche Normen. Wir werden nahezu darauf konditioniert jene in unsere Wertvorstellung zu adaptieren. Hinzu kommt ein unbewusster Kaufzwang, der durch die Produktwerbung in uns ausgelöst wird. Dies kann sich insofern steigern, dass bestimmte Produkte zu Statussymbolen (Autos, Spielkonsolen, etc.) und schließlich zum Definitionsmittel des Selbstwertes werden.
Schnelllebigkeit ist vielleicht die Konsequenz oder auch Teil des Teufelskreises. Wer beworbene Produkte haben möchte, der muss über die finanziellen Mittel verfügen. Dementsprechend scheint Arbeit das unbekannte Hauptziel der anonymen Menschenmassen zu sein. Welch irritierender und wohltuender Anblick, in diesem Kreislauf Leute zu beobachten, die beinahe meditativ auf einer Bank ihre Zeit absitzen…
Ich nehme meine Beobachtungen als Ausgangslage für meine Intervention, mit der ich eine Rückführung vom anonymen System Stadt hin zu individueller Anwesenheit ermöglichen und diese sichtbar werden lassen möchte.
# Projektidee
Mit Hilfe von Gipshandabdrücken soll das tagtäglich konstruierte „Kunstwerk Stadt“ persönliche Signaturen von seinen Künstler*innen – den Einwohner*innen – erhalten. In den Abdrücken spiegeln sich die individuellen Anwesenheiten im Stadtraum symbolisch wider. Diese Persönlichen Profile werden im öffentlichen Raum angebracht und über den visuellen Zugang auch für andere Passant*innen sichtbar. Der Gipsabdruck, der vorrangig als ein Attribut in der Kinderbeschäftigung assoziiert wird, dient hier spielerisch als eine Art Stoppschild. Teilnehmende und Passant*innen werden an einen anderen (kindlichen) Zeitmodus und Blick erinnert. Personen, die tagtäglich die Räume der Stadt durchkreuzen und prägen, werden mit diesem kleinen einfachen Zeichen sichtbar.
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# Umsetzung
Mein Projekt teilte sich in drei Arbeitsschritte und war an die Einwohner*innen Kölns aller Altersklassen gerichtet. Als Standort diente der Rudolfplatz in der Kölner Innenstadt. Aufgrund seiner Bahnanbindung (Menschenmenge), der Einkaufsmöglichkeiten (Standard-Geschäfte und Imbiss-Lokale, attraktiv für nahezu alle Altersklassen) sowie seiner Zentralität bot sich dieser Raum für meine Intervention an.
Im ersten Schritt stellte ich einen kleinen Stand auf, an dem Passant*innen ihre Handabdrücke in Gips anfertigen konnten. Zusätzlich gaben die Kölner*innen auf einem Zettel ihren Lieblingsort in der Stadt, den Grund dafür sowie ihre drei Lieblingsfarben an. Die gesammelten Informationen stellten die Grundlage für meinen zweiten Arbeitsschritt dar: Nach der Trocknungsphase bemalte ich die Abdrücke in den jeweils vermerkten Lieblingsfarben und lackierte sie abschließend. Im letzten Schritt verteilte und befestigte ich die Abdrücke an den Lieblingsorten. Vor Ort befragte ich zusätzlich Passant*innen nach ihrer Meinung zu meinem Projekt.
# Reaktionen & Reflexion
Die Kommentare bezüglich des Projektes boten ein breites Spektrum an Reflexionsmaterial:
„Grundsätzlich finde ich die Idee ganz gut, vor allen Dingen, dass es eben von jungen Leuten angesprochen wird, dass die Individualität nachgelassen hat und wir alles eben nur auf Kommerz und Diktieren der Politiker reduzieren. Köln ist eigentlich eine individuelle Stadt, es wird aber zu wenig benutzt!“
„Ich finde, es ist eine sehr schöne Idee. Ich werde jetzt auch darauf achten, wo ich diese Handabdrücke sehe und bestimmt auch schmunzeln das ein oder andere Mal.“
„Eine tolle Idee, dass solche Projekte in unsere Stadt hineinkommen. Das belebt die Stadt.“
„Ich finde das ist eine super tolle Idee, sodass man vielleicht auch mal ein paar Ideen bekommt, was man für sich selber als Lieblingsort empfindet, da nochmal drüber nachdenkt, dass man angestupst wird genauer darauf zu achten und sich daran erfreut.“
Die Stimmen verdeutlichen, dass die Grundidee des Projektes, die Menschen in Köln direkt anzusprechen und einen Denkprozess und ein gewisses Bewusstsein hinsichtlich ihrer individuellen Anwesenheit im Stadtraum zu schaffen, tatsächlich Erfolg hatte. Es ergaben sich interessante Gespräche, in denen das große Interesse an einer Individualisierung von Stadtraum deutlich wurde. Darüber hinaus war die weitreichende Bereitschaft der Menschen, einen Beitrag zu meinem Projekt zu leisten, eine schöne Erfahrung.
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TRASH PERFORMANCE (S. Finke & V. J.)
# Ausgangslage
Die alltägliche Konfrontation mit der Vermüllung unserer urbanen Umwelt ebenso wie die erstarkte mediale Debatte über deren weltweites Ausmaß hat uns dazu angeregt, andere Menschen auf das Thema der Müllentsorgung mit einer spielerischen Grundhaltung aufmerksam zu machen und sie niedrigschwellig wieder zu einer vermehrten Benutzung der örtlichen Abfallbehälter zu animieren, anstatt den Müll im Gehen fallen zu lassen.
# Projektbeschreibung
Unsere Intervention „Trash Performance“ kann als localized verortet werdwn – wir spielen mit existierenden Ort-Kontext Bezügen. Dabei rücken wir den alltäglichen Gegenstand der Mülltonne an ihrem jeweiligen Aufstellungsort im öffentlichen Raum in ein neues Licht.
Hierfür entwarfen wir eine spielerische Animation, in der wir mit der Mülltonne als konkretes Objekt im urbanen Raum interagierten. Bei der Umsetzung unserer Idee war es wichtig, die Attraktivität der gern ignorierten Objekte im urbanen Raum zu steigern bzw. zu erneuern und eine höhere Aufmerksamkeit für die Handlung der Müllentsorgung zu erzielen. In der Folge kreierten wir um die Mülltonnen herum mehrere Spielfelder, in denen wir die Mülltonne als unser zentrales Zielobjekt aufwerteten. Die Ursprungsfunktion der Mülltonne blieb dabei erhalten, wurde jedoch durch die spielerische Attribuierung aufgewertet. Unsere „Trash Performance“ wollte das Umweltbewusstsein subversiv animieren: Das Ziel war es, den Müll in die Tonne hinein und nicht daneben zu werfen. Der hinter der spielerischen Handlung liegende Appell sollte das Gewissen der Passant*innen aktivieren und eine Aufmerksamkeit dafür schaffen, wie beiläufig wir häufig mit Abfall umgehen.
# Umsetzung
Unsere Performance fand im Kölner Stadtraum statt (Park am Aachener Weiher, Universitätsgelände). Wir führten die Aktionen mitten am Tag durch, um die Aufmerksamkeit möglichst vieler Passant*innen zu gewinnen. Sie sollten, ob groß oder klein, die Anwesenheit der Mülltonnen wieder wahrnehmen und durch die spielerische Ästhetik unserer temporären Intervention zu weiterem Sinnieren über das Thema Müll und den eigenen Umgang damit, angeregt werden.
Unsere Spielfelder wurden mit kurzen performativen Einlagen unsererseits verknüpft: Bei dem „Footsteps“ Feld führten auf den Boden gesprühte Fußspuren zu Mülltonnen. Das Feld „Jumping Trash“ stellte ein typisches Kinder-Hüpfspiel dar. Das Basketballspielfeld erstellten wir zwischen zwei gegenüberliegenden Mülltonnen.
Als Material benutzten wir Kreidespray, welches grellere Akzente als normale Kreide setzt und eine längere Haltbarkeit aufweist. Die Sprühkreide war weniger statisch und hatte den zusätzlichen Effekt, dass sie von den Passant*innen bei Schuhkontakt noch ein Stückchen weitergetragen wurde. Gleichzeitig war die Sprühkreide witterungsbedingt relativ schnell abgetragen, was die Flüchtigkeit der Performance unterstrich. Zudem ist die Sprühkreide weniger umweltschädlich als Lackfarbe. Die Fußabdrücke auf dem Boden oder an der Mülltonne wurden mit Hilfe von Schablonen angebracht. Die Aktionen wurden mit Foto- und Videoaufnahmen dokumentiert.
[vimeo 69688446 w=500 h=281]
# Reaktionen & Reflexion
Die Aktion begann mit einer längeren Vorbereitungsphase, in der wir uns intensiv mit Material- und Ortsrecherche befassten. Die Reaktionen während der Durchführung unser Intervention waren vielschichtig: Die Passant*innen schauten teils interessiert zu, während wir mit der Sprühkreide die Spielfelder kreierten oder fragten nach dem Zweck unserer Aktion. Vor allem bei Kindern löste unsere Aktion großes Interesse aus und an ihrer Rückmeldung konnten wir erkennen, dass wir viel Aufmerksamkeit erzeugten. Ebenso ernteten wir irritierte, fragende Blicke bis hin zu Aussprüchen wie “Was ist das denn für ein Müll?!” – thematisch gar kein so unpassender Kommentar…